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Rohwerke und ihre Fabrikanten (Artikel von Gisbert L. Brunner)

Rohwerke und ihre Fabrikanten (Artikel von Gisbert L. Brunner)

Gerade jetzt ist es wichtig zu wissen, wie ein Uhrwerk aufgebaut ist, die Funktionsabläufe und Steuerungsmechanismen zu kennen und den Kunden optimal über das Produkt informieren zu können. Wir begeben uns mit dieser Serie ins Innere der tickenden Wunderwelten.

Ebauche eines Chronographen, Vorder- und Rückseite

Ein paar Worte vorweg: Am nächsten Tag war vorübergehend alles anders. Bei einigen Uhrenmarken zumindest. Ein gut fünfminütiger Beitrag in der Wirtschaftssendung »Plus Minus« vom 6. Mai 1997 sorgte bei Fachleuten und Uhrenliebhabern für heftigen Gesprächsstoff. Ein eidgenössisches Pendant namens »Kassensturz« schlug im Herbst in die gleiche Kerbe. Es ging -kurz gesagt – ums Innenleben mechanischer Armbanduhren, um dessen Fabrikanten und einige ihrer Abnehmer, im Fachjargon Etablisseure genannt. Im Gegensatz zu den vergleichsweise wenigen Manufakturen, die zumindest einen Teil der unverzichtbaren Rohwerke im eigenen Haus fertigen, kaufen die zahlreichen Etablisseure (Fertigsteller von Uhren) diese bei spezialisierten Rohwerkeherstellern, darunter die mächtige ETA, das traditionsreiche Haus LeCoultre, die vielseitige Nouvelle Le’mania oder die exklusive ETA-Schwester Frédéric Piguet. Jene Art von Arbeitsteilung existiert in der Uhrenindustrie seit mehreren Jahrhunderten. Und ihr haftet auch nichts Negatives an.

Aus diesen Bestandteilen setzt sich ein Ebauche zusammen

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Entwicklung eines neuen Automatik-Uhrwerks heute fünf Millionen Mark und mehr verschlingt, wird das konsequente Festhalten an kooperativen Prinzipien verständlich. Nur durch Verteilung der immensen Basiskosten auf größere Stückzahlen halten sich die Preise für Rohwerke und damit auch für fertige Uhren im Rahmen des für Normalsterbliche Bezahlbaren. Vergleiche mit der Autoindustrie, wo zum Beispiel mehrere konkurrierende Unternehmen ein und denselben Motor verwenden, sind an dieser Stelle durchaus erlaubt.
Weil ohne das oftmals mitleidig belächelte Ebauche selbst bei teuerster oder ausgefallenster Schale, bei aufwendigster Finissage gar nichts geht, weil andererseits in der Branche aber auch viele Legenden und Halbwahrheiten kolportiert werden, startet Uhren Juwelen Schmuck mit Heft 1/1998 eine neue Artikelserie, die sich ausschließlich um Rohwerke und die dahinterstehenden Fabrikanten dreht. Die nötigen Recherchen erfolgten nach bestem Wissen und Gewissen. Nur, und das darf an dieser Stelle keinesfalls verschwiegen werden, berührt diese Thematik zahlreiche Geheimnisse. Und deshalb war an viele interessante Informationen beim besten Willen nicht zu kommen. Hier rangiert das vertrauensvolle Lieferanten-Kunden-Verhältnis absolut vor dem Wissensdurst neugieriger Journalisten.

Ohne Ebauche keine Uhr

»Das Wort Ebauche hat als Bezeichnung für das Rohwerk der Uhr eine allgemeine Verbreitung gefunden. Genauer gesagt: Das Ebauche bedeutet heute das Rohwerk der Uhr in einem genau beschriebenen Fertigungszustand und ausgestattet mit bestimmten Gruppen von Bauteilen. Es bildet das Kernstück der Uhr. Die Frage, wie das Wort Ebauche, das im Französischen sprachlich ein eher unbestimmter Ausdruck ist, zu seiner heutigen Bedeutung als Fachausdruck gekommen ist, lässt sich nicht auf einfache Weise beantworten. Zu einem vollen Verständnis gelangt man erst, wenn man weiß, wie sich das Ebauche begrifflich als Teil der Uhr neben der Uhr als Ganzes entwickelt hat, und wie es durch diese Entwicklung zu seiner heutigen Stellung und Bedeutung gelangt ist.

Arbeit an Rohwerken in der Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Zu diesem Wissen gelangt man, wenn man die Geschichte der Uhrmacherei zurückverfolgt bis in jene Zeit, da in der Schweiz die Uhr von Anfang bis zum Ende das Werk eines einzigen kunstfertigen Handwerkers war. Damals wusste man wohl, was eine Uhr ist, aber was ein Ebauche, der »erste Entwurf« einer Uhr ist, darum kümmerten sich die Leute nicht. Sie interessierten sich nur für das fertige Kunst- und Wunderwerk: sein Werdegang blieb ihnen ein Geheimnis. Doch auch der Uhrmacher selbst empfand nicht das Bedürfnis, einen Teil seiner Arbeit besonders auszusondern und zu benennen, stellte er doch alle Teile mit gleicher Sorgfalt her. Der Begriff Ebauche hat sich erst im Gefolge der zunehmenden Arbeitsteilung nach und nach herausgebildet.«

Mit diesen Sätzen beginnt eine 1951 herausgegebene »Festschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Ebauches S.A.«, des damals unbestreitbar größten Rohwerkekonzerns der Uhr-Schweiz. Kein natürliches Gebilde übrigens, sondern ein Konglomerat aus einzelnen, mehr oder minder großen Rohwerkefabrikanten, die ab 1926 mehr oder minder freiwillig unter das Dach der in Neuenburg angesiedelten Holding gelangten. 1950 verzeichnet die erwähnte Chronik nicht weniger als 68 Uhrenindustrieunternehmen, die ganz oder teilweise von der Ebauches Aktiengesellschaft übernommen wurden. Damit sind »Werkzeugsätze oder Maschinen oder Gebäude oder ganze Anlangen« gemeint.
Zu den drei Gründungsfirmen gehörten die Adolf Schild AG (AS), Grenchen, die 1793 gegründete Fabrique d‘ horlogerie de Fontainemelon S.A. (FHF), Fontainemelon, sowie die Adolf Michel S.A. (AM), Grenchen. Neun weitere Mitgliedsfirmen, wie zum Beispiel der Rohwerkehersteller Charles Hahn & Cie, Le Landeron, besser bekannt unter dem Namen Landeron, wurden bereits 1927 angegliedert. Die übrigen folgten im Laufe der Jahre, den Geboten der ständigen Uhrenkrisen oder des eidgenössischen Dachverbands folgend, oder aber um sich selbst vor massivem Konkurrenzdruck zu schützen. Immerhin entbrannten seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder heftige Preiskämpfe um die Rohwerke, bei denen der größte französische Konkurrent Japy Frères kräftig mitmischte. Frédéric Japy aus Beaucourt, dessen Vater eine Schmiede besaß, rief 1770 eine Ebauchesfabrikation unter Einbeziehung moderner Maschinen und Technologien ins Leben. 1795 fertigte er jährlich 40.000 Rohwerke, zehn Jahre später waren es bereits mehr als 180.000, und 1813 lag der Ausstoß bei gut 300.000 Stück. Sein Unternehmen war in der Tat das erste, auf das die Bezeichnung Fabrik zutraf. Deshalb verwundert es nicht, dass viele Etablisseure (Fertigsteller) im schweizerischen Jura und in der Metropole Genf bei Japy einkauften. Mit der Produktionssteigerung ging ein massiver Preisverfall einher. Während Japy anfänglich noch 6,50 Franken für ein Rohwerk verlangte, sank der Preis bis 1815 auf unter zwei Franken. Das in Großserie gefertigte Ebauche geriet zunehmend in die Bedrängnis. Im Zeitalter der Industrialisierung kristallisierten sich nämlich immer stärker die gewaltigen Diskrepanzen zwischen der »handgefertigten Luxusuhr« und den fabrikmäßig hergestellten Rohwerken heraus. Auf der einen Seite wurde der tickende Wegbegleiter als persönlicher Wertgegenstand betrachtet, der primär dem Geschmack des Besitzers zu entsprechen hatte und deshalb nicht anonym-seriell gefertigt sein durfte. Mit ihr ließ sich tatsächlich gutes Geld verdienen. Auf der anderen Seite standen die sogenannten »armen Verwandten«, und das waren eben die Rohwerke samt ihren Produzenten. Blickt man in die Geschichtsbücher der Genfer Uhrmacherei, wird man unschwer entdecken, dass die 1745 erlassenen »Satzungen betreffend das Uhrmachergewerbe« diesen Trend eingeleitet hatten, indem sie eine Verbannung der als minderwertig angesehenen Ebauches-Hersteller aus der Stadt bewirkten. Vor den Toren durften sie ihrer Arbeit nachgehen, und sie fanden in den mächtigen Genfer Etablisseuren auch weiterhin dankbare Abnehmer. Das weit einträglichere Fertigstellen und Vermarkten von Uhren wollte die chronometrische Upperclass indessen selbst besorgen.
Immerhin bestimmten der Herkunftsname, das kunstvolle äußere Erscheinungsbild sowie die Verwendung kostbarer Materialien in erster Linie den Preis. Die zunehmend maschinell gefertigten, vergleichsweise billigen, aber gleichwohl unverzichtbaren (Roh-) Werke selbst waren als »graue Mäuse« im Gehäuse-Inneren verborgen. Mit ihnen hatten Eigentümer so gut wie nichts zu schaffen.

Auf der anderen Seite hatte das unaufhaltsame Vordringen moderner Maschinen aber auch sein Gutes. Mit ihrer Hilfe ließ sich eines der heikelsten Probleme lösen: die Austauschbarkeit der Bestandteile eines Uhrwerks. Das Rohwerk als Präzisionsinstrument musste vom Makel befreit werden, dass jede Reparatur eine aufwendige manuelle Nacharbeit auszuwechselnder Komponenten durch die Aristokraten unter den Uhrmachern, die Repasseure, verlangte.
Das Aufkommen von Maschinen begünstigte aber auch noch einen anderen wesentlichen Faktor in der Rohwerkefertigung: die Spezialisierung und Arbeitsteilung. Nicht jeder musste zwangsläufig alles fertigen. Viel sinnvoller, qualitätssteigernder und zudem noch kostengünstiger war es, bestimmte Komponenten, unter anderem Steine, Unruh, Unruhspirale, Hemmungen, von qualifizierten Herstellern zu beziehen. Die längst zu einem festen Bestandteil der Uhrenindustrie zählenden »verwandten Branchen« entstanden.

Rohwerkefabrikation im Jahre 1926

Durch den Maschineneinsatz verloren die Rohwerke zwar ihre Individualität, aber das brachte auch Vorteile in mehrerer Hinsicht: Von der Präzisionssteigerung war bereits die Rede. Daneben dürfen die wirtschaftlichen Konsequenzen aber nicht übersehen werden. Durch moderne Produktionsmethoden konnten sich viele Rohwerkehersteller endlich emanzipieren. Die lange währende Bevormundung durch die Etablisseure wandelte sich. Zunehmend entwickelte sich die Ebauches-Fabrikation zu einem bedeutenden Machtfaktor in der eigenössischen und internationalen Uhrenindustrie.

In diesem Zusammenhang sind zum allgemeinen Verständnis der folgenden Ausführungen einige begriffliche Definitionen unabdingbar: Ein funktionsfähiges Uhrwerk besteht aus Ebauche (Rohwerk), Hemmung (Echappement), Unruhreif mit Spiralfeder, Zugfeder, Zifferblatt und Zeigern. Unter Ebauche ist ein komplettes Werk (Platinen, Brücken, Rädersatz, Stahlteile …) ohne Hemmung, Unruhreif, Spiralfeder, Zugfeder, Zifferblatt und Zeiger zu verstehen. Auf Wunsch ist es mit oder ohne eingepresste Lagersteine erhältlich. Im Umgang mit Rohwerken taucht gelegentlich auch der Terminus »Schablone« auf. Hierbei handelt es sich um einen nicht zusammengebauten Satz aller oder verschiedener Teile eines Kalibers. Unter »Kaliber« versteht man schließlich eine möglichst eindeutig klassifizierende Bezeichnung der unterschiedlichen Werktypen. Die Kaliberangabe ist sehr wichtig zur exakten Identifikation eines bestimmten Uhrwerks, zum Beispiel zur Bestellung von Ersatzteilen.
Neben den reinen Ebauches-Fabrikanten und den Manufakturen kennt die Branche noch die sogenannte »gemischte Fabrik«. Sie fungiert als Manufaktur und Rohwerkelieferant zugleich. Girard-Perregaux zählt heute zu dieser Gattung, Zenith ebenso. Vor mehr als sechzig Jahren besaß auch das Haus Eterna diesen Zwitter-Status. Und das passte den damaligen Ebauches Machthabern ganz und gar nicht ins Konzept. Und so entstand die ETA.
Wer heute an ETA denkt, kommt bei ein wenig Kenntnis der Uhrengeschichte am Namen Eterna nicht vorbei. Auch wenn sich nirgends detailliertes Hintergrundmaterial finden lässt, liegt der Schluss nicht fern, dass »ETA« ursprünglich nichts anderes als ein Kürzel von »Eterna« war. Die Anfänge reichen zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als Dr. med. Josef Girard in Grenchen zusammen mit seinem Bruder Euseb Girard und Rechtsanwalt F. Kunz im Gebäude einer ehemaligen Parkettfabrik die Rohwerkefirma »Girard Frères & Kunz« gründete. Von ihr berichtete die Berner Zeitung »Bund« am 7. Dezember 1853, dass sich das Gebäude »prachtvoll inmitten des großen Dorfes« erhebe, und dass dort 200 Arbeiter ihr Auskommen fänden. Die Freude am Erfolg währte indessen nur kurz: Schon 1855 schied der eigenbrötlerische Euseb Girard aus, und 1856 machten übermächtige Konkurrenz sowie die Auswirkungen des Krimkrieges eine Liquidation der jungen Unternehmung erforderlich.

Eterna,
ETA alt und ETA neu

Am 7. November des gleichen Jahres verbündete sich der Arzt mit dem Schullehrer Urs Schild zur neuen Ebauches-Fabrik »Dr. Girard & Schild«, Wiege der Uhrenmanufaktur Eterna. Bis 1862 lief auch die neue Fabrik nicht besonders gut. Speziell die bereits erwähnten Japy Frères versuchten mit allen Mitteln, den neuen Konkurrenten auszuschalten. Ein wenig erfolgreiches Unterfangen. 1864 trat Adolf Schild-Hugi, der Bruder Urs Schilds, in die Fabrique d’Ebauches, Finissages et Echappements von Dr. Girard & Schild ein. 1896 verselbständigte er sich durch die Gründung seiner eigenen Rohwerke-Fabrik »AS«.

Eterna-ETA-Gründer Urs Schild

Die ersten Fertigungsautomaten hielten 1870 ihren Einzug. Mit ihrer Hilfe produzierten 300 Arbeiter Rohwerke mit Zylinder- und Ankerhemmung, Triebe und Rücker-Rohlinge. Fünf Jahre später herrschte Krisenstimmung in Grenchen. Im Handel mit Rohwerken waren beinahe anarchische Zustände zu konstatieren. Weil die Etablisseure weit weniger modern arbeiteten als die Ebauches-Hersteller, kam es zu einem krassen Mißverhältnis zwischen dem Ausstoß an Rohwerken und der Verarbeitungskapazität. Das daraus resultierende Überangebot an Ebauches führte zu einem massiven Preisverfall.
Aus dieser mißlichen Situation zog Urs Schild die Konsequenz, fortan fertige Uhren, angefangen vom Rohwerk bis hin zum Gehäuse, herzustellen. Außerdem verlangte er eine Preisabsprache zugunsten einheitlicher Rohwerk-Tarife. 1876 schlossen sich dreizehn Fabrikbesitzer zur »Chambre syndicale des ébauches« zusammen. Im Vertrag, der nur kurz hielt, verpflichteten sich die Mitglieder, künftig auf einen ruinösen Wettbewerb und damit auch alle Preisunterbietungen zu verzichten. Schon nach wenigen Jahren setzte der Preiskampf wieder ein. Auch das 1887 gegründete »Syndicat des ébauches suisses et françaises« (Kartell der schweizerischen und französischen Rohwerkefabrikanten) ging schon 1891 wieder in die Brüche.

Durch die Gründung der Kommanditgesellschaft »ETERNA-Werke, Gebrüder Schild & Co.« wurde im Jahre 1906 der Zifferblattname auch auf die Firma selbst übertragen. Rohwerke für fremde Kunden gelangten unter dem Kürzel »ETA« auf den Markt.
Die wirtschaftlichen und politischen Folgen des Ersten Weltkrieges ließen die altbekannten Ebauches-Mißstände in der Ebauches-Herstellung wieder aufleben: Verschiedene Rohwerkefabrikanten, die ihre Maschinen während der Kriegsjahre auf die profitablere Erzeugung von Munition umgestellt hatten, drängten nach Friedensschluß erneut auf den angestammten Markt. Eine massive Überproduktion und damit verbundene Dumpingpreise waren wieder einmal an der Tagesordnung. Zum Beispiel sank der Preis für ein Dutzend eines ovalen 6 3/4linigen Formwerkes, das 1912 noch 288 Schweizer Franken gekostet hatte, im Jahre 1922 auf ganze 35 Schweizer Franken. Außerdem wurde der geächtete Export von Schablonen (Einzelteile des Uhrwerks zur Fremdmontage) wieder forciert, was heimische Arbeitsplätze vernichtete. Auch die durch Theodor Schild initiierte »Société Suisse des Fabriques d’Ebauches et de Finissages« (Schweizerischer Verband der Rohwerkefabrikanten und Feinbearbeiter), hatte hier keine entscheidende Besserung gebracht. Mitte 1921 waren in der schweizerischen Uhrenindustrie mehr als 30.000 Mitarbeiter ganz oder teilweise ohne Beschäftigung. Mehr als deutlich offenbarte sich nun, dass ohne eine grundlegende Reorganisation eine Solidarität innerhalb der Uhrenindustrie nicht herbeizuführen war. Deshalb wurde 1924 ein erster Spitzenverband ins Leben gerufen: die »Fédération Horlogére« (F.H.) oder zu deutsch
»Vereinigung der Uhrenfabrikanten« mit Sitz in Biel, in der mehr als 80 Prozent der schweizerischen Fabrikanten fertiger Uhren organisiert waren.
Drei Jahre später, 1927, folgten die Rohwerkehersteller AS, FHF und AM diesem Vorbild durch die Gründung der Ebauches S.A., einer Holding für Rohwerke und Ersatzteile mit einem Gesellschaftskapital von 12 Millionen Schweizer Franken. Deren Ziel bestand darin, unter Beibehaltung einer weitgehenden wirtschaftlichen Selbständigkeit der Mitgliedsfirmen, die Konkurrenz untereinander auszuschalten, den Rohwerkeverkauf zu koordinieren, die Produktpalette zu straffen sowie Spezialisierungen und sinnvolle Neuentwicklungen zu fördern. Bereits im Gründungsjahr unterzeichneten die Ebauches S.A. und die Eterna S.A. einen Freundschaftsvertrag. Im Laufe der folgenden Jahre schlossen sich weitere maßgebliche Ebauches-Fabrikanten, darunter FEF, Felsa, Landeron, Peseux, Unitas, Valjoux und Venus, mehr oder minder freiwillig dem rasch an Macht gewinnenden Kartell an.

Doch dies alles genügte noch nicht, um Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln wirkungsvoll zu ahnden und solche Fabrikanten in ihre Schranken zu weisen, die aus egoistischen Überlegungen gegen das Wohl der gesamten Uhrenindustrie handelten. Nun sah sich der Staat gezwungen, auf doppelte Weise einzugreifen:
Zum einen unterstützte er mit 25 Millionen Schweizer Franken die 1931 geschaffene Superholding ASUAG (Allgemeine Gesellschaft der schweizerischen Uhrenindustrie AG), die die Rohwerkefabriken und die Hersteller der regulierenden Bestandteile unter einem Dach vereinte, ohne jedoch deren ökonomische Autonomie anzutasten. Zum anderen schützte er die Uhrenindustrie mit Hilfe des Uhrenstatuts von 1934 vor Auswanderung und inneren Zersetzungstendenzen.

Das ETA-Gebäude in Grenchen

Die Eterna hatte sowohl als Hersteller fertiger Uhren wie auch als Rohwerkefabrikant bereits ab 1924 eine merkliche Konsolidierung verspürt. 1928 konnten erstmals mehr als eine Million ETA-Rohwerke hergestellt und verkauft werden. Trotzdem stimmte das unternehmerische Genie Theodor Schild, den ökonomischen Zwängen folgend sowie zum Schutze der schweizerischen Uhrenindustrie gegenüber ausländischen Einflüssen, im Jahre 1932 nach langen Uberlegungen und tiefschürfenden Diskussionen der geordneten Aufteilung seiner »gemischten Uhren- und Ebauches-Fabrik«, die ETA Rohwerke an Etablisseure lieferte und reservierte Ebauches zu Präzisionsuhren der Marke Eterna verarbeitete, in zwei getrennte Aktiengesellschaften zu:

  • 1. die ETA AG zur Herstellung von Rohwerken, als eine der bedeutendsten Tochtergesellschaften der Ebauches S.A., und
  • 2. die ETERNA AG zur traditionellen Fertigstellung von Präzisionsuhren.

Nach diesem wirtschaftlich richtigen Schritt zog sich Theodor Schild aus dem Tagesgeschäft zurück. Er überließ das Ruder als Direktor beider Gesellschaften seinem Neffen Dr. Rudolf Schild-Comtesse. Dieser arbeitete nicht minder effizient. Er schöpfte das technische und wirtschaftliche Potential der ETA voll aus. Eine ihrer Spitzenleistungen bestand 1947/48 in der Entwicklung des Kugellagerrotors für Automatikuhren, der heute bekanntlich den anerkannten Status eines Weltstandards besitzt. Im Jahr 1946 offerierten die verschiedenen Mitgliedsfirmen der Ebauches S.A. ihren Kunden insgesamt 810 verschiedene Kaliber. Dreihundert davon waren Basiskaliber und 510 Derivate.

Platinen werden heute auf modernsten Präzisions-CNC-Maschinen gefräst

Während der Nachkriegs-Blütephase offerierte die ETA beinahe unzählige Kaliber mit manuellem oder automatischem Aufzug für Damen- oder Herrenuhren. Nur komplizierte Uhrwerke wird man bei der ETA vergebens suchen. Solches bewerkstelligten im Firmenverbund der Ebauches S.A. andere, hochspezialisierte Tochtergesellschaften wie zum Beispiel Landeron, Venus oder Valjoux.

So sieht eine unbearbeitete Platine aus

Im Zuge der überfälligen Sanierung gingen 1984 die ASUAG, die 1930 ins Leben gerufene SSIH (Société suisse pour l’industrie horlogère S.A.) und damit auch alle ehemaligen Tochterfirmen der Ebauches S.A. in dem von Nicolas Hayek und namhaften Banken gegründeten SMH-Konzern (Société Suisse de Microélectronique et d’Horlogerie) auf. Sämtliche Rohwerke-Aktivitäten wurden dabei in der neuen SMH-Tochter ETA S.A. gebündelt. Die Entscheidung für diesen Namen kam übrigens nicht von ungefähr: Von allen Ebauches S.A.-Mitgliedern hatte sich die ETA S.A. auch im Zusammenhang mit der Quarz-Revolution als die kreativste, finanzstärkste und damit letztlich auch als die durchsetzungskräftigste erwiesen. Immerhin war es die ETA S.A., die sich 1978 an das Projekt »DELTREM« (Delirium tremens) gewagt und am 12. Januar 1979 mit dem Kaliber 999.001 die mit 1,98 Millimetern Höhe vorerst flachste Quarzarmbanduhr der Welt lanciert hatte. Ein Jahr später stand in Basel sogar ein nurmehr 0,98 Millimeter hoher Nachfolger zur Verfügung. Das intelligente Konstruktionsprinzip, den Gehäuseboden als Trägerelement für die Werksbestandteile, ergo als Platine zu verwenden, ebnete den Weg für den größten ETA-Erfolg überhaupt. Und der heißt schlicht und einfach »Swatch«.

Die Werkteile werden alle unter dem Mikroskop auf Mängel untersucht

Heute unterhält die ETA S.A. allein in der Schweiz mehr als zwanzig Produktionsstätten, wobei sich die wichtigsten Stützpunkte in Grenchen (Unternehmensleitung, Direktionen Forschung und Entwicklung, Finanzen, Administration und natürlich auch Produktion), Fontainemelon, Marin (Marketing- und Verkaufsdirektion, Elektronik-Entwicklung und -Produktion) sowie Les Bioux im Vallée de Joux befinden. Produziert wird ferner in Hongkong und Malaysia. Aus den bescheidenen Anfängen in den sauren Aare-Niederungen ist ein mächtiger Global-Player geworden, ohne den die Welt der Zeitmessung und der vielfältigen Zeitmesser um vieles ärmer wäre. Immerhin dürfte ohne die ETA S.A und ihre breitgefächerte Kaliberpalette rund achtzig Prozent der eidgenössischen Uhrenindustrie die Existenzgrundlage fehlen.

 

Text und Fotos mit freundlicher Genehmigung von Gisbert L. Brunner
Artikel von Gisbert L. Brunner aus dem Branchenmagazin Uhren Juwelen Schmuck, Januar 1998:
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